Laufen ist etwas, dass für viele Menschen selbstverständlich ist. Die nächste Bahn fällt aus? Kein Problem, dann läuft man die zwei Haltestellen eben. Doch wie gestaltet sich der Alltag für Menschen, die im Rollstuhl sitzen? Dank meiner YouTube-Tätigkeit durfte ich innerhalb eines Experimentes einen Tag lang genau dieser Erfahrung machen. Wie sich das gestaltet hat, erfahrt ihr in den nächsten Zeilen.
Das Experiment
Genau genommen lief das Experiment an einem Samstag ab. Das Wetter war sehr schlecht. 2 Grad, Regen. Ein Tag, an dem man am liebsten im Bett bleiben möchte. Ich traf mich mit dem Team von Sendertime, einem YouTube-Kanal, auf dem im Rahmen des Formates „Adventure Time“ außergewöhnliche Challenges und Aufgaben absolviert & gefilmt werden.
Neben mir nahm noch Oguz von Y-Titty die Herausforderung an. Unser Coach war Jan, der selbst mit einer halbseitigen Spastik behindert und auf einer Schule ist, bei der z.B. der Sportunterricht im Rollstuhl absolviert wird.
Die Aufgabe lautete: Von Köln bis zum Schloss Brühl mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen (35km), ohne die Beine zu benutzen und dabei auch noch drei Aufgaben zu erfüllen. Im Detail: Geld am Bankautomaten abheben, Donuts aus dem obersten Regalfach eines Backdiscounts kaufen und in einem öffentlichen Gebäude aufs Klo „gehen“.
Ich möchte wenig von der Sendertime-Challenge inhaltlich spoilern, da gestern erst Folge 1 / 3 erschien, aber: Die Erfahrungen an diesem Tag haben mich schockiert.
Tücken des Alltags
Was für uns vollkommen normal ist, wird durch den Rollstuhl extrem kompliziert. In die Bahn-Linie 16 am Barbarossa-Platz einsteigen? Unmöglich. Schließlich kann man mit einem Rollstuhl keine Treppenstufen hochfahren. Mit über 80 Kilogramm ist die Option „Sich-Von-Anderen-Tragen-Lassen“ auch keine wirkliche Möglichkeit.
Also hieß es: Zur nächsten Haltestelle fahren. Diese wurde mir auf der von Raul Krauthausen entwickelten Wheelmap – einer Karte, über die man rollstuhlgerechte Orte suchen und finden kann – als grün und somit rollstuhlfreundlich gekennzeichnet. Was ich unterschätzte: Die 800 Meter „Rollweg“ zwischen den Haltestellen waren ein Alptraum. Der abschüssige Gehweg zwang mich dazu, die ganze Zeit mit dem rechten Arm gegen die Rollbewegung zu arbeiten. Schon nach kurzer Zeit verließen mich die Kräfte.
Bordsteine und schlechtes Wetter
Durch den Regen war es zudem verdammt nasskalt, die Handschuhe, die ich mir mit weiser Voraussicht eingepackt hatte, konnte ich nicht nutzen, da ich so keinen Grip hatte und beim Anschieben der Räder abrutschte.
Auch für uns lächerlich niedrig aussehende Bordsteine sind für Rollstuhlfahrer eine Qual. Man benötigt Kraft und genügend Schwung, über eine Ampel zu kommen. Einmal steckte ich bei einem Straßenbahnübergang zwischen den Schienen fest. Einmal in einer Pfütze.
Meine Wut wuchs von Mal zu Mal mehr an und meine Laune verschlechterte sich extrem. In vier Stunden musste ich mir fünf Mal helfen lassen, da ich es ohne fremde Hilfe nicht geschafft hätte. Diese Situationen fühlten sich für mich extrem schlimm an, da ich eigentlich ein sehr selbstständiger Mensch bin und am liebsten alles alleine mache. Auch mein geschätztes Smartphone inklusive tausender von virtuellen „Freunden“ half mir in diesen Fällen überhaupt nicht.
Mensch 2. Klasse!
Mein Tagesfazit: Als Rollstuhlfahrer kam ich mir an diesem Tag wie ein Mensch 2.Klasse vor. Klar, man kommt irgendwie von A nach B. Aber selbst in so einer großer Stadt wie Köln wird dir das Leben unnötig kompliziert gemacht. Überall lauern Gefahren, Blockaden und Hindernisse, die der laufende Mensch niemals als solche sehen wird. Deshalb habe ich seitdem noch viel viel größeren Respekt vor den Menschen im Rollstuhl und ich kann nur an jeden einzelnen mit gesunden Beinen daran appellieren, dankbar für diese Freiheit zu sein und behinderten Menschen in misslichen Lagen direkt zu helfen.
Ein Zusatz noch: Die Rollstühle selbst waren „Billig-Modelle“ und Jan hat mir erzählt, dass es weitaus bessere gibt, die alltagstauglicher sind. So haben diese z.B. einen Kippschutz, um eben nicht, wie bei mir, nach hinten umkippen zu können. Dadurch sind manche Situationen, die ich erlebt habe, mit einem Profi-Modell weitaus entspannter. Auch sind geübte Rollstuhlfahrer tausend Mal geschickter, als ich es als Anfänger war. Dennoch zeigt das Experiment einfach, wie wichtig es ist, behinderte Menschen in unsere Gesellschaft richtig zu inkludieren. So könnte man dann auch einen Rollstuhllift der deutschen Bahn vermeiden, der nur Montags – Freitags von 8 – 18 Uhr geöffnet hat…
Hier seht ihr, wie ich mich in der ersten Folge geschlagen habe. Die restlichen zwei kommen jeweils Freitag um 16 Uhr auf Sendertime. Ich empfehle euch an der Stelle den Kanal „SoBehindert“ von Jan, schaut dort definitiv mal vorbei!
(Falls das Video mobil entsprechend angezeigt wird, bitte hier klicken.)
One Comment on “Ein Tag im Rollstuhl – Ein Selbstexperiment”
Hi Philipp, netter Blogeintrag 🙂 Als Rollstuhlfahrer muss ich dann doch noch eine Anmerkung hinzufügen *g* 😉 Ihr hattet ja noch das Glück dass ihr Kraft in den Armen habt und die auch benutzen konntet dh ihr habt die Welt eines Querschnittsgelähmten gesehen der ja nur unterhalb der Gürtelinie keine Kraft hat. Ich zB habe keine Querschnittslähmung oder ähnlich und könnte daher nicht mal meinen eigenen Stuhl drücken und bin auf ein stark motorisches Teil angewiesen und Tritte stellen da ein wesentlich größeres Problem dar, da man den Stuhl nicht einfach mal selbst hochschieben kann oder schieben lassen kann, ist der Tritt zu hoch bleibt ich draussen um jetzt nur ein Beispiel zu nennen 🙂
Trozdem geile Aktion und nimm meinen Kommentar jetzt nicht bös auf oder so, so ists net gemeint 😉