Viele Dinge auf der Welt muss man nicht verstehen. Medien-Bashing zum Beispiel. Seit dem Launch von Google+ vor einem Jahr herrschte in der Medienwelt zunächst Begeisterung, dann Skepsis und seit Anfang diesen Jahres gibt es nahezu wöchentlich einen Artikel, in denen „ Geiststadt“ und „Langeweile“ oft verwendete Begriffe sind. Dabei merkt der normale Google+-Nutzer schon nach wenigen Zeilen, dass sich die Autoren solcher Artikel meist wenig bis gar nicht mit Google+ auseinandergesetzt haben.
Von Geistern und gähnender Langeweile
Alles fing mit einem Artikel des Wall Street Journals vom 28. Februar 2012 an, in dem erstmals der Google+ als virtuelle Geisterstadt betitelt wurde. Daraufhin startete das weltweite Medien-Bashing, begründet durch zweifelhafte Studien wie der von RPJ Metrics – es wurden nur öffentliche Postings ausgewertet, viele Google+ Nutzer teilen ihre Beiträge aber privat- oder eigenen „Experten“-Meinungen, die durch Argumente der Marke Copy&Paste glänzen. Hierzulande fanden Artikel wie „Noch einmal: Google+ auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit“ und „CCC-Sprecherin Constanze Kurz über Google+: “Gähnende Leere und Langeweile” ihren Weg in den die Aufmerksamkeitsbereich der Allgemeinheit.
So sehr ich auch die journalistischen Fähigkeiten der Autoren und die Meinungsfreiheit respektiere: Google+ kann man nicht beurteilen, in dem man sich einen Account erstellt, 20 Leuten folgt und dann die Interaktionsrate mit Facebook und Twitter vergleicht. Man benötigt definitiv eine kurze Anlaufszeit, um sich mit Google+ vertraut zu machen, den richtigen Menschen zu folgen und die Netzwerketiquette zu verstehen – aber es lohnt sich, denn die Google+ Communtiy lebt durch ihre Diskussionen und begründeten Meinungen.
Das eigene Desinteresse als Argument
(Google+ aus der Sicht der Kritiker)
Ein abgenutztes Argument contra Google+ lautet, dass die User nur dann aktiv werden, wenn es sich um einen Beitrag gegen das soziale Netzwerk handelt. CCC-Sprecherin Constanze Kurz geht in dem oben bereits genannten Artikel weiter:
„Im Gegensatz zu Facebook sieht man hier (Google+, a.d.R.), dass sich da eigentlich nur Männliche zwischen 18 und 34 aufhalten und sich unter sich unterhalten und auch die Frauenquote sehr gering ist; sich vor allem in den Großstädten manifestiert.
Und wer dort mal aktiv ist wird feststellen, die unterhalten sich in der Regel mit sich selbst; also die Kommunikation ist überhaupt nicht vergleichbar in der Lebendigkeit – ich denke auch in der Frage, inwieweit bei Themen eine Netzöffentlichkeit geschaffen wird – mit Facebook. Oder auch mit dem in Deutschland ja vor allem mit politischen Themen sehr aktiven Twitter.“
Mit Verlaub: Diese Aussage ist Schwachsinn. Auf Google+ wird tagtäglich zu den unterschiedlichsten Themen diskutiert, egal ob Sport, Wissenschaft oder dem von Frau Kurz angesprochenen Thema Politik. Gerne liefere ich für diese Meinung auch passende Beispiele, die das Gegenteil beweisen dürften.
Diskussion und Interaktion soweit das Auge reicht – ein paar Beispiele
SPIEGEL ONLINE
Thema: Soziales Netzwerk Salamworld – Chatten mit dem Imam
WELT ONLINE
Theme: Ramsauer plant Pkw-Maut nach Schweizer Vorbild
DRadio Wissen
Thema: ARACHNOPHOBIE – Pfui Spinne!
Die Beispielliste könnte ich nun beliebig fortsetzen und weitere Beiträge zu anderen Themen und ausgeprägter Diskussionsrunde vorzeigen. Das Argument fehlender Lebendigkeit ist somit nicht weiter vertretbar.
Unternehmen verstehen Google+ falsch
Vor allem das Beispiel DRadio Wissen hat erst kürzlich gezeigt, wie viele Menschen wirklich aktiv auf Google+ sind. Erst wollte man die Seite mangels Aktivität schließen, dann wiesen die Leser selbst auf Verbesserungen hin und nach dem Rückzug vom Rückzug hat die Seite mehr Interaktion denn je! Und das ist genau der Punkt: Statt die Flinte ins Korn zu werfen, haben sich die Redakteure des Radiosenders auf Google+ eingelassen, Tipps angenommen, ihre Beiträge und das Profil optimiert. Die Mühen werden jeden Tag durch zahlreiche Kommentare belohnt und der Mehrwert deutlich.
Viele Unternehmen verstehen Google+ falsch. Oftmals werden Beiträge von Facebook 1zu1 übernommen und somit identisch auf Google+ gepostet. Wer das Netzwerk ein bisschen besser kennt weiß, das es hier ganz andere Spielregeln gibt. Reines Linkposten wird durch Ignoranz gestraft und so müssen sich viele Seitenbetreiber über die mangelnde Interkation nicht wundern. Dabei sind die Regeln ganz einfach, wie ich in diesem Artikel bereits ausführlich berichtet habe.
Ein Appell an alle Kritiker
Natürlich kann und möchte ich niemanden dazu zwingen, es DRadio Wissen gleichzutun und sich intensiver mit Google+ auseinanderzusetzen. Aber: Wenn man nicht die Zeit hat, das soziale Netzwerk länger als im Rahmen einer Artikelrecherche zu erkunden, dann sollte man die Berichterstattung neutraler gestalten und sich nicht auf zweifelhafte Studien oder „Experten“-Meinungen verlassen. Falls sich der ein oder andere Kritiker nur dadurch bestätigt fühlt, das die Vorurteile stimmen, weil die eigene Google+ Seite keinen interessiert, dem sei gesagt: Wenn du Google+ als das ungeliebte Stiefkind behandelst, wird sich auch keiner für dich interessieren. Klar, Google+ ist lange noch nicht da, wo es viele sehen und wo es selbst vielleicht schon sein möchte. Die offiziellen Zahlen sind beschönigt, der Anteil an Männern ist höher und es wird noch seine Zeit brauchen, bis man als vollwertiges Netzwerk akzeptiert wird. Dennoch hat sich bereits nach einem Jahr eine eingeschworene Community auf Google+ gebildet, die sich für allerhand Themen interessiert und die Bezeichnung „Geisterstadt“ schlichtweg nicht verdient.
Wo der Weg von Google+ letztendlich hinführt, wird die Zeit zeigen. Google+ hat nie behauptet, ein zweites Facebook sein zu wollen. Sei es von den Funktion als auch von den Menschen, die es nutzen. Es ist anders und unterscheidet sich in vielen Punkten von den „angekommenen“ Netzwerken. Von daher muss man umdenken, sich mit dem Google+ intensiv auseinandersetzen und erst dann sollte man sich eine eigene Meinung bilden.
Das gilt auch für Wirtschafstjournalisten und Pressesprecher.
5 Comments on “Totgesagte leben länger: Warum Google+ eine Chance verdient”
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Schlussendlich sind es wir – die Nutzer von Google+ – die entscheiden, ob Schwung kommt oder nicht.
In Google+ sehe ich *viel* bessere Möglichkeiten (also in Facebook oder Twitter), sich zusammen zu tun zu Themengruppen (auch mit Menschen, mit denen man nicht in der Schule war). Von der Struktur her ist schon jetzt mehr gegeben … aber es sind die Menschen, die es ausmachen.
Gibt’s eigentlich ein WordPress-Plugin, um die *Kommentar-Formatierungen* von Google+ zu ermöglichen? Hab mich schon so dran gewöhnt 🙂
Du meinst: Markdown-Syntax? (Danach sieht es aus.) Ja, jede Menge.
Hi Philip,
schöner Artikel, der es auf den Punkt bringt. Es scheinen immer die Leute zu sein, die sich mit G+ gar nicht so richtig auseinandergesetzt haben, die auf den Geisterstadt-Langeweile-Zug aufspringen. Ist halt einfach, bringt ne schöne Headline und viele Kommentare.
Ich stimme Dir zu: Google Plus ist anders ist als die Anderen 😉